VDC veröffentlicht Whitepaper Virtual Reality und Augmented Reality in der Montage

23.10.2018

Die Whitepaper des Virtual Dimension Centers dienen als Überblicke über gewisse Themenstellungen im Kontext Virtueller Techniken, so z. B. Branchenanalysen, Anwendungsgebieten oder aber Technologiefelder. Die Montage ist ein Anwendungsgebiet Virtueller Techniken.

Als Montage bezeichnet man in der industriellen Fertigung die Gesamtheit aller Vorgänge für den Zusammenbau von Körpern mit geometrisch bestimmter Form (Längen, Winkel). Die wesentlichen Teiloperationen eines Montageprozesses sind das Fügen (Verschrauben, Nageln, Schweißen, Kleben, Löten, Einclipsen), das Handhaben (greifen, legen, umdrehen, bewegen, sichern, kontrollieren), das  Prüfen und das Justieren (z. B. Einstellen), sowie Hilfsoperationen (z. B. reinigen, erwärmen oder kühlen für Pressverbindungen, entgraten, auspacken, abdichten, ölen, …). Die Montage bildet neben den Bereichen Arbeitsvorbereitung und Teilefertigung einen Teil des Produktionssystems eines Industriebetriebes. Aufgrund des starken räumlich-geometrischen Charakters der Montage und des in vielen Bereichen nach wie vor signifikanten manuellen Arbeitsanteils ist die Montage ein relevantes Anwendungsfeld Virtueller Techniken: Virtual Reality und Augmented Reality werden heute im Kontext der Monate für folgende Einsatzbereiche eingesetzt: Linienplanung, Produktevaluation, Arbeitsplatzgestaltung, Prozessevaluation und Prozessunterstützung.

Montagelinienplanung

Im Rahmen der Montagelinienplanung wird versucht, einen Virtual Mock-Up der Linie aufzubauen, inklusive aller beweglichen Teile, etwa Handhabungstechnik, Fördertechnik, Bandanlieferung und Robotersysteme. Zielstellung ist die Einpassung in das Fabriklayout bzw. dessen Optimierung, sowie die Reifegraderhöhung der Planung auch bis ins Detail. Entscheidungspunkte können etwa sein: Dock- vs. Fließfertigung, das Transportsystem (Stetig- vs. Unstetigförderer) sowie die Platzierung und Bewegung von Montagehilfsmitteln (wie Hebezeuge, Arbeitsbühnen). Verschiedene Varianten werden in VR durchgespielt, die sinnvollste ausgewählt. Ein weiterer Aspekt der Überprüfung stellt die Virtuelle Inbetriebnahme dar, in deren Rahmen die Programmierung von speicherprogrammierbaren Steuerungen und Robotern auf der Basis des digitalen 3D-Modells vorweggenommen wird. Zu diesem Zweck wird die Kollisionsfreiheit virtuell sichergestellt, zudem die Synchronisierung der Roboter untereinander, sowie die Synchronisierung der Roboter mit der Fördertechnik.

Produktevaluation

Die Produktevaluation im Kontext Montage mittels Virtueller Techniken hat zum Ziel, die Montage-Eignung eines Produkts (Design for Assembly) sicherzustellen. Dazu kann ein Produkt virtuell montiert oder demontiert werden. Es erfolgt eine subjektive Beurteilung der Baubarkeit durch einen Produkt-/Montageexperten. Er berücksichtigt dafür die Zugänglichkeit, Kollisionsfreiheit, Freigängigkeit, gegebenenfalls sogar ergonomische Herausforderungen. Selbst beidhändige Interaktionen, etwa über zwei 3D-Controller, sind heute technisch kein Problem mehr.

Arbeitsplatzergonomie

Die virtuelle Gestaltung eines Montage-Arbeitsplatzes hat zum Ziel, die Eignung eines Arbeitsplatzes hinsichtlich Effizienz und Ergonomie abzusichern. Auch hierfür können Virtuelle Mock-Ups von Montage-Arbeitsplätzen entwickelt werden. An diesen können 3D-Avatare, also digitale 3D-Menschmodelle, in der Folge Montagearbeiten verrichten. Bei gegebener Technologie können anthropometrische 3D-Menschmodelle komplette Auswertungen (Effizienz, Zeit, Ergonomie) des Arbeitsvorgangs ermöglichen. Die Steuerung der Menschmodell erfolgt entweder über implizite Programmierung, d.h. ein VR-Nutzer steuert das Menschmodell direkt mittels Motion Capturing durch seine eigene Gestik, oder aber man verwendet vorgefertigte Bewegungsbibliotheken. Motion Capturing kann die Bewegungen von Armen, Beinen, Kopf und Rumpf des Nutzers erfassen und auf das 3D-Menschmodell übertragen. Damit wird vermieden, dass die Posen und die Bewegungen des 3D-Menschmodell aufwändig am PC programmiert werden müssen. Alternativ gibt es ebenfalls bereits den Einsatz von Augmented Reality für die Arbeitsplatzevaluation. Dazu wird ein 3D-Menschmodell inklusive seines Greifraums graphisch über eine reale Montagestation gelegt. Der AR-Nutzer kann sich damit um die Montagestation herum bewegen und sieht etwa, welche Behälter der 3D-Werker problemlos erreichen kann und für welche er gehen oder sich vorbeugen muss.

Prozessevaluation

In der Montageprozess-Evaluation geht es darum, den Arbeitsvorgang an sich virtuell zu überprüfen. Der Einsatz von Werkzeugen und Montagehilfsmitteln (wie Hebezeuge, Arbeitsbühnen) ist abzusichern: ist die Zugänglichkeit mit Werkzeug gegeben, können Hebezeuge angebracht und eingesetzt werden, sind für einen Vorgang mehr als eine Person erforderlich? Die Überprüfung kann erneut in interaktiven VR-Umgebungen vorgenommen werden oder aber mittels programmierter, anthropometrischer 3D-Menschmodelle, die entsprechenden Vorgänge ausführen. Beim Einsatz interaktiver VR-Umgebungen, in denen der VR-Nutzer sozusagen als Montage-Werker selbst arbeitet, wird teils vermehrter Wert auf die Haptik-Systeme gelegt: so können reale Montagewerkzeuge wie Akku- und Druckluftschrauber verwendet werden, deren Position dann per Tracking erfasst wird. Diese Position wird dann auf ein digitales 3D-Modell des Werkzeugs in der virtuellen Welt übertragen und dort auf Kollisionen überprüft. Die Kollisionsantwort erfolgt zumeist graphisch oder akustisch.

Wird anstelle eines virtuellen Werkzeugs ein virtuelles Bauteil geführt, so lässt sich daraus ein Montagepfad ableiten oder aber feststellen, dass eine Montage in dieser Konstellation nicht möglich ist. Die Positionsvorgabe virtueller Bauteile kann recht einfach mit handelsüblichen 3D-Controllern erfolgen, die beispielsweise mit aktuellen Head Mounted Displays (HMDs) mitgeliefert werden. Die Kollisionsantwort erfolgt in jenem Fall ebenso graphisch oder akustisch. Häufig hat man es in der Montage aber nicht nur mit reinen Starrkörpersystemen zu tun. Stattdessen trifft der Monteur auf Kabel, Schläuche oder Dichtungen, also flexible Bauteile. Einige Hersteller von VR-Software tragen diesem Umstand Rechnung durch die Entwicklung von VR-Umgebungen, die flexible Bauteile als solche abbilden können: diese lassen sich demnach zur Seite drücken oder verlegen. Dabei werden Kraftvektoren angezeigt.

Vereinzelt gibt es VR-Umgebungen, in denen die Kollisionsantwort nicht nur graphisch oder akustisch erfolgt, sondern haptisch, eben als Kraftrückkopplung (Force Feedback). Dafür kommen entweder Gelenkarmsysteme zum Einsatz oder geführte Seilroboter. Die Gelenkarmsysteme funktionieren umgekehrt wie ein Roboter: der Nutzer führt die Position des Gelenkarms über einen Griff am Endeffektor (Tool Center Point), der aber in diesem Fall gar keiner ist, sondern die Benutzungsschnittstelle darstellt. Diese Bewegung wird auf ein digitales 3D-Objekt in der virtuellen Welt übertragen. Wird dort eine Kollision errechnet, blockiert der Gelenkarm in die entsprechende Richtung. Ein geführter Seilroboter funktioniert äquivalent, arbeitet nur nach anderer Mechanik. Will man dann noch das Greifen eines Bauteils sehr realitätsnah abbilden, ersetzt man den Griff am Endeffektor durch ein 3D-gedrucktes Bauteil. Das Force-Feedback-System kann auf diesen 3D-Druck sogar noch die gewünschte Gewichtskraft übermitteln, falls dieser Aspekt relevant für die Untersuchung ist.

Derart ausgetüftelte Montageuntersuchungsumgebungen ermöglichen in der Folge Weiteres: zum einen können alternative Montagevorranggraphen gebildet und untersucht werden, um eine optimale Montagereihenfolge per Variantenvergleich zu ermitteln und abzusichern. Alle bis hierher ausgeführten Aspekte (Linienplanung, Produktevaluation, Arbeitsplatzergonomie) können dabei eine Rolle spielen. Zum anderen weisen die Ergebnisse von VR-Umgebungen mittlerweile eine Güte auf, die es erlaubt, Vorgabezeiten abzuleiten. Für nicht in der VR abbildbare Detailoperationen (wie beispielsweise das Vereinzeln von Schrauben beim Griff in die Schraubenkiste) helfen Standardzeiten aus MTM (Methods-Time Measurement)-Tabellen weiter. Die Produktevaluation kann an dieser Stelle um den Aspekt der konstruktiven Montagehilfen (wie Fasen, Führungskanten, Zentrierhilfen) erweitert werden: die positiven Effekte von Montagehilfen müssen sich in diesem Arbeitsschritt „Prozessevaluation“ zeigen.

Prozessunterstützung

Schließlich können Virtuelle Umgebungen als Assistenzsysteme während des realen Montagevorgangs selbst eingesetzt werden. Die beiden Zielsetzungen sind die Unterstützung des Werkers und/oder die Qualitätssicherung des Montageprozesses.

In der Unterstützungsanwendung wird dem Werker der nächste Arbeitsschritt präsentiert: der richtige Montageort, einzusetzende Werkzeuge sowie Werkzeugparameter (wie notwendige und zulässige Drehmomente) werden ausgegeben. Durch AR-Techniken kann die Anzeige ortrichtig auf dem realen Bauteil erfolgen. Alle drei Klassen an AR-Systemen kamen in dieser Anwendung bereits zum Einsatz: ein Flugzeugbauer verwendet so 3D-Projektionen auf den Flugzeugrohbau, um das richtige Anbringen von Clips und Halterungen zu unterstützen. Ein Automobilhersteller setzte versuchsweise Smart Glasses ein, um Hinweise zu Service- und Montagearbeiten im Motorraum zu geben. Ein anderer Automobilhersteller setzt Tablet PCs ein, die in gleicher Weise Montagehinweise graphisch ortsrichtig überlagern. Im Maschinenbau wird aktuell versucht, diese Ansätze noch um den Aspekt der verteilten Kooperation zu erweitern: erste geteilte AR-Anwendungen übertragen das Live-Kamerabild des Technikers vor Ort an den Spezialisten in der Firmenzentrale. Dieser kann in dieses Livebild Hinweise ortsrichtig einzeichnen, die dann der Servicetechniken im Feld an der richtigen Stelle sieht. Die Kommunikation erfolgt ansonsten über Standard-Internettelefonie.

Die Qualitätssicherung in der Montage führt hingegen Soll-Ist-Abgleiche mittels Augmented Reality durch. Von Interesse sind hier also insbesondere Abweichungen des erreichten Baustands gegenüber dem geplanten Zustand. Realisierungen aus der Vergangenheit zeigten die Überprüfung der richtigen Positionierung von Schweißbolzen, die Vermessung von verbliebenem Bauraum (der nicht nur das Ergebnis der Konstruktion, sondern auch sämtlicher Toleranzen ist) sowie die Beschädigungsprüfung von Halterungsclips. In jedem dieser Fälle erfolgte eine Fotodokumentation als Arbeitsergebnis. eingesetzte AR-Technologien waren Tablet PCs (für die Halterungsclips) und mechanisch geführte Kameras (an einem Koordinatenmessarm), deren Bild inklusive AR-Überlagerung auf einem fix installierten Bildschirm gezeigt wurde.

Das Whitepaper kann unter folgender URL kostenfrei heruntergeladen werden:

www.vdc-fellbach.de/wissen/fachinformationen/whitepaper/